Ein Kasten „Amerika“

27. März 2014 / Eigenbericht. – Bereits in unserer Ausgabe vom 10. August 2011 konnten wir über die Eröffnung einer kleinen Stellmacherei in Stedeleben berichten, die mit der Herstellung von Speichenrädern diverser Größen den Bau von Straßenfahrzeugen und sonstigen Transportmitteln in unserem Kreise erheblich beflügelt hat. Dieser Tage kam unser Lokalreporter zufällig wieder dort vorbei und staunte nicht wenig über das dortige Geschehen.

Trude Nabenfett ist in heller Aufregung. Die resolute Inhaberin mag es gar nicht, wenn Kunden lange vor dem vereinbarten Liefertermin erscheinen, um mittels kleiner Präsente den Fortgang der Arbeiten zu beschleunigen. „Ich will keine Schokolade“, schimpft sie halblaut, als sie durchs Bürofenster des Geschäftsmannes gewahr wird, der da draußen im feinen blauen Anzug heranstolziert. Es handelt sich um den Möbelspediteur Heinrich Leistenbruch. „Garantiert hat der wieder einen Kasten Konfekt in seiner Aktentasche. Jedesmal dasselbe, wenn’s ihm nicht schnell genug geht. Sie entschuldigen mich einen Moment“, bittet sie den Reporter und stürmt hinaus. „Bärendreck aus Kleinklöten“ zischt sie leise, und ist im nächsten Augenblick wie ausgewechselt. „Guten Tag, Herr Leistenbruch! Schön, daß Sie zwischendurch mal reinschauen!“

Der Fuhrunternehmer hat einen Möbelwagen zur Reparatur abgeliefert, mit dem sein Großvater 1875 das Geschäft eröffnet hatte. Leider erwies sich das historische Stück als derart ramponiert, daß man um eine komplette Demontage nicht herumkam. Etliche Teile müssen sogar neu angefertigt werden. „Aber Herr Leistenbruch“, hört man nun die rauhe Altstimme vom Hof, „im Prinzip ist das jetzt als Bausatz zu betrachten, bei dem Teile verloren gegangen sind. Das zu richten dauert seine Zeit. Vor Ende April wird das nichts.“

Ein Seufzer entringt sich der Männerbrust, als ihn die Auftragnehmerin zu dem zerlegten Wagen führt. „Um Himmelswillen, was haben Sie da angerichtet“, erklimmt er die Einzelteile des zerlegten Wagens. „Das war das wertvollste Stück auf unserem Hof, ein Familienandenken!“ Aber Trude Nabenfett bewahrt die Contenance. „Sehen Sie denn nicht, daß all diese Teile neu sind? Sie werden Ihren Wagen schöner zurückbekommen, als Ihr seliger Opa ihn gekauft hat!“

Da Herr Leistenbruch sich nicht beruhigt, pfeift sie auf zwei Fingern einige Gesellen und Lehrlinge heran. „Probeweise zusammensetzen, aber hopphopp!“ Kurz darauf ähnelt das, was eben noch ungeordnet umherlag, einem Möbelfuhrwerk. „Hier, Herr Leistenbruch, die Türen sind schon wieder gängig, und diese Woche werden wir, wenn alles gut geht, auch den Bock noch wieder ansetzen.“

Herr Leistenbruch bekommt wieder Luft. „Ach, Verehrteste“, sagt er und öffnet kleinlaut die Aktentasche. „Sie gestatten, daß ich mich erkenntlich zeige für Ihre Mühe“, verabschiedet er sich, um den Abendzug nach Kleinklöten zu erreichen. „Falscher Fuffziger“, grummelt ihm Frau Nabenfett nach und pfeift dann erneut auf den Fingern. „Das süße Zeug können die Männer an ihre Kramm‘ verteilen“, erklärt sie dem Reporter, doch zum Glück schaut sie nochmal genauer aufs Etikett, bevor die Männer im Büro eintreffen. „Holt mal Susi und Sina aus dem Stall und zieht den Wagen in die Scheune, es soll die Nacht Regen geben.“

Ohne den Pralinenkasten entfernen sich die Arbeiter. Sie aber strahlt übers ganze Gesicht. „Der alte Leistenbruch meint das offenbar ernst mit seinem Erbstück. Gucken Sie mal, das ist ein ganzer Kasten ‘Amerika‘, die neuen PORTOLA-Riegel aus Magdeburg. Ich sage Ihnen: Billig waren die nicht!“