Zwei Handbreit Gleis unterm Kiel

19. Oktober 2012 / Eigenbericht.Die Bootswerft Schmolke in Hintzemuckel hat ihren ersten Auftrag ausgeliefert. Und zwar mit der Bahn.

Kaum jemand in unserem Kreise kennt das verschlafene Dorf Hintzemuckel. Dabei liegt es keine halbe Bahnstunde von Stedeleben entfernt an einem schmalen Seitenarm der Elbe, den Einheimische nur „die Muckel“ zu nennen pflegen. Der Reisende erreicht den Ort mit der Stedelebener Kreisbahn (SKB) über die Station Großbommeln, wohin von Stedeleben aus täglich vier Personenzüge abgehen. Weiter nach Hintzemuckel gelangt man schließlich mit einem betagten Dampftriebwagen, den die SKB zum Schrottpreis in Württemberg von der DRG erstanden und aufgearbeitet hat.

Den beschriebenen Weg nahm kürzlich auch unser Reporter, um einer kleinen Premiere in jenem Dorfe beizuwohnen. Vor Jahresfrist nämlich eröffnete daselbst der junge Bootsbauer Karl-Heinz Schmolke eine kleine Werft. „Immer weniger Leute“, so sagt er, „wollen am Sonntag segeln gehen, sofern die Winde wehen.“ Sie wollten viel lieber Wochenend‘ und Sonnenschein bequem auf einem kleinen Motorboot genießen, statt mühsam auf einem Fluß mit beachtlicher Fließgeschwindigkeit gegen den flauen Wind zu kreuzen. „Darum habe ich mich für robuste Metallboote mit Verbrennungsmotor entschieden.“ Die seien auch relativ preiswert, denn viele Interessenten „haben es nicht allzu dicke“ und schauten eher nach solider Minimalausstattung statt Luxus. „Nebenbei nehmen wir auch Aufträge zur Reparatur oder für Ruderboote an, aber mehr Spaß machen doch die Motorboote.“ Und damit zieht er den Reporter des Kreisboten hinüber zu dem kurzen Anschlußgleis, das von der SKB-Strecke auf seinen Betriebshof führt. „So was da meine ich.“

Staunend stehen der Reporter und sein Photograph vor einem Flachwagen mit Rungen, den eine kleine preußische T3 nach Hintzemuckel rangiert hat. „Das ist unser erster Auftrag, wir liefern ihn heute aus.“ Bereits verladen ist das kleine Kajütboot mit dem schwarz-rotem Rumpf und strahlend weißen Aufbauten. Eine goldglänzende Zierlinie zieht sich um den ganzen Rumpf, und in poliertem Messing erstrahlen auch die Geländer auf dem Dach der Kajüte.

Aber warum liefert man nicht übers Wasser, da es sich doch um einen Blechkahn handelt? Als er das Wort „Blechkahn“ hört, verdüstert sich die Mine des Inhabers. Aber vielleicht nicht nur wegen des etwas abfälligen Begriffs. Denn an sich, erzählt er, sollte die Bootswerft Schmolke längst über eine Slipanlage verfügen, mit der ihre Fahrzeuge zu Wasser gelassen werden können. Leider habe die Disconto-Gesellschaft den Kredit dafür an die Ablieferung des ersten Auftrages gebunden, wie Inhaber Karl-Heinz Schmolke beklagt. „Banken sind eben auch in unserer trüben Muckel wie Haie“, sagt Schmolke bitter. Aber dann lächelt er gleich wieder und schaut stolz hinauf zu dem Boot auf dem Waggon, das vom Käufer, einem Herrn Fontane, dem Vernehmen nach auf den Namen „Effi“ getauft und zum Stechlin befördert werden soll.

„Wir haben da schon den nächsten größeren Auftrag. Eine alte Pinasse von der Reichsmarine, die wir zu einem zivilen Boot umbauen. Mit den Einnahmen werden wir unsere Slipway demnächst im Eigenbau errichten. Dann können die sich ihren Kredit sonstwo hinstecken.“

Ihr Heimatblättchen wird das spannende Geschehen in der Bootswerft Schmolke für seine geneigten Leser also gewiß im Auge behalten.